Ronald! Siehst du diese Mantelschnecke? Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, so eine zu sehen! Erinnerst du dich, wie ich in der 8. Klasse ein Referat darüber gehalten habe? Seitdem bin ich in eine solche Meeresschnecke verliebt! Es ist ein kriechender Schatz.
Aber Albert, was beobachtest du die Mantelschnecke mit dieser veralteten Lupe? Wann war die noch aktuell? 1980? Wir sind im 21. Jahrhundert, da benutzt man diese High-Tech-Fotoapparate und diese werden dir auch viel mehr bringen. Sammele sie auch noch ein, die sind 800 Euro wert!
Fotoapparate? Die Blitzlichter werden die Tierchen verängstigen, was bist du denn für ein scheusslicher Tierquäler. Wir waren doch zusammen studieren, und dort haben wir gelernt, dass wir die Tiere nie quälen sollten, vor allem, wenn sie von solch rarer Natur sind.
Ich bin keiner und wenn ich einer wäre, dann wärst du ein Hindernis für die Wissenschaft der Tiefsee. Das haben wir nämlich auch gelernt. Wissenschaft hat Priorität.
Ich könnte diese schönen Kreaturen auch ohne Blitz fotografieren, dann wären wir beide glücklich.
Nein, kannst du nicht. Erinnerst du dich nicht an die spezielle Musterung? Bei diesem Lichtmangel in 200 Meter Tiefe, wirst du nichts erkennen. Du siehst nicht mal mich, denn sonst würdest du sehen, wie entsetzt ich über dich bin.
Entsetzt über mich? Woher nimmst du dir das Recht, entsetzt zu sein? Ich bin entsetzt über dich, du Entsetzter.
Schon gut, musst ja nicht gleich ausflippen. Und lass diese Wortspiele, das finde ich schon seit unserem Tauchgang im Indischen Ozean nicht mehr witzig. Wie hast du das trübe Ding in dem noch trüberen Tümpel hier überhaupt gefunden?
Nenn meinen Schatz nicht trübes Ding du trübe Tasse!
Ich bin keine hohle Nuss! Aber ich verzeihe dir das, wenn du mir endlich mal das Netz reichst, damit ich diese verdammte Schnecke einfangen kann. Ist es eigentlich nur eine?
Guck doch selber nach. Ich hab immerhin schon die erste gefunden.
Schon gut. Aber wo ist deine Schnecke überhaupt? Auf dem Fels da war sie doch gerade noch oder?
Du böser Hund, du! Mit deinem Geschrei und Streit hast du die ruhige, friedliche, vegetarische Schnecke verscheucht. Hol mir eine Neue, das bist du mir schuldig.
Reg dich ab, Albert, es ist eine SCHNECKE. Die kommt keine zwei Meter weit.
Aber wenn sie in eine der vielen Felsritzen entwischt, bekommst du sie da nicht mehr raus. Dann können wir nur noch warten bis sie wieder auftaucht.
Mir wird das zu blöd, du bist 50 Jahre alt, verhältst dich so, als ob das dein Traumberuf ist, obwohl er das nicht ist. Ich gehe hoch, und brauche erst mal einen Drink.
Schön, geh’ doch, ich suche meine liebe Schnecke ohne dich. Geht sowieso schneller.
Schau doch mal auf den Sauerstoffzeiger. Bei der Menge tätest du gut daran, deinen Zorn runterzuschlucken und mit mir zu kommen.
Spinnst du? Du hast es doch selbst gesagt: Bei dem trüben Wasser hier wäre es ein Wunder, wenn ich die kleine Schnecke in den nächsten Jahren wiederfinden würde. Ich bleibe auf jeden Fall!
Beihilfe zum Mord ist strafbar, und ich lasse mich sicher nicht wegen einer Seeschnecke, die du unbedingt haben willst, einbuchten. Du kommst mit mir mit.
Die Seeschnecke wird dich nicht verklagen, geh, ich komme gleich nach.
Die Seeschnecke vielleicht nicht, aber unser Boss? Unsere Chefin? Die hat doch sowieso ein Auge auf dich geworfen. Komm schon.
Nein!
…
Hast du gehört? Nein!
…
Ronald? Bist du da?
…
Lässt der Pisser mich einfach alleine! Und das nach dreissig Jahren Partnerschaft. Ach du meine Güte, da ist ja meine Schnecke! Komm her du Ausreisser. Jetzt aber schnell nach oben. Oh, gegen was bin ich da mit meinen neuen Flossen gestossen? Ist das… Ist das ein Bein? Ein Fuss? Ein TOTER Fuss?