Treppen

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Ich wachte ruckartig auf und konstatierte, dass ich an eine weisse Wand geschmiegt war. Eine kalte weisse Wand. Dann kontemplierte ich den Fakt, ja, genoss ihn richtiggehend, dass bei mir zu Hause alle Wände beige waren. Wo bin ich, schlich sich die Frage in mein Bewusstsein, und probierte gehört zu werden. Ebenso fragten meine Ohren sich diese Frage, denn diese hatten den Umgebungssound registriert, oder eher die Absenz davon. Die Haut an meinen Fingern stiess sich von der kalten Wand ab und forschte nach einer willkommeneren Materie, aber scheiterte enttäuscht und beschloss die Rückenmuskulatur als Stehhilfe zu verwenden … und so befand ich mich plötzlich nicht mehr an eine Wand geschmiegt, sondern in einem erhellten Treppenhaus. Rechts stieg die Treppe nach oben, links führte sie nach unten.

Diese Sache verstand ich nicht ganz. Wo bin ich, pulsierte das neue Mantra in meinem verwirrten Geist. Der Ausgang ist immer unten, deklarierte mein Allgemeinwissen und trat einen Schritt nach links. Eine unendliche Traurigkeit invadierte die unendliche Fläche meiner Lunge und ich musste Keuchen, als ich das blutige Gesicht meines Mannes vor mir sah. Seine linke Gesichtsfläche war mit einem langen Schnitt gefurcht, der nach unten, bis zu seiner Brust reichte. Ich sah, wie meine verzweifelten Hände versuchten die zerrissenen Spaltenseiten zusammenzubringen, ja, zusammenzuzwingen, während der gesamte Inhalt meines Geliebten auf die Strasse floss. Meine Knie wurde warm und das führte zu einer solchen Hoffnungslosigkeit, dass ich einen Schrei von mir stiess und mich aus der Vision riss.

Die Treppe, die mich abwärts führen würde, lag vor mir. Nur einige Schritte entfernt. Meine ursprüngliche Absicht kam mir wieder in den Sinn und ich trat einen weiteren Schritt nach vorne. Ein Tränennebel verschleierte mir die Sicht, während ich in meinen Armen den Kadaver meines Kindes hielt. Ich sah durch den Nebel das vage Abbild meines schlafenden Babys, ein bodenloses Grauen liess meine Zelle erschüttern. Meine Hände klammerten sich um die regungslosen Arme und versuchten das schon längst entflohene Leben zurückzuhalten. Ich wusste jedoch schon, dass jegliche Regung verflogen war, und langsam verblassten die Tränen zu einer absinkenden Treppe.

Ich tritt nach vorne. Blitzschnell näherte sich mir ein enormer Lastwagen und meine Schultern versteiften sich in den unerwünschten Resultaten einer berechneten Bewegungsvorsage. Mein ganzes Wesen war vor Schock erfroren und ich konnte nur noch die Annäherung des bedrohlichen Metallgesichts beobachten, bevor ich drei Schritte nach hinten stolperte und mich am Boden vor der steigenden Treppenseite befand.

Meine gewachsene Tochter spielte in einem Blütengarten und pflückte fleissig bis zu einem Monsterstrauss und rannte zu ihrem Vater im Liegestuhl. Mein Mann nahm ihr den Monsterstrauss aus den Händen und nahm sie auf den Schoss, um sich bei ihr zu bedanken. Meine Mutter stolzierte mit ihrem Limonadentablett aus der Gartentür und rief meinen Vater aus der Garage, für die tägliche Limonadenversammlung. Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht meiner Tochter, meiner Mutter, meines Mannes, als sie meinen Vater mit seinem Öl-beschmierten Star Wars Shirt erblickten, und die ganze Szene verschwand in weissem Licht.

Ein Flüstern, das bisher in meinem Herzen gelauert hatte, stieg an die Oberfläche und stöhnte nach Erleichterung, bis ich nachgab, und in die Höhe stieg.

Arielle Rüfenacht

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